Maren Lübbke-Tidow
In einem früheren Katalog zu ihren Arbeiten, TO BE IN A HOME NOW. (2014), beschreibt Francisca Gómez Häuser und Wohnungen als »zweite Haut« des Menschen.¹ Mit dieser metaphorischen Lesart kommt man in der Betrachtung der Arbeit der Künstlerin ziemlich weit. Haut. Als größtes Organ umschließt sie unser Inneres und bildet seine Außenseite. Dabei funktioniert sie wie eine Membran, ist aktiv, durchlässig, gleichermaßen empfindlich wie widerständig. Häusern und Wohnungen genau diese Funktion einer lebendigen Hülle zuzuordnen, die wir mit unseren Körpern bewohnen, macht Sinn.
Wie viel Druck kann diese Außenhaut ertragen, bevor sie sich in einer Art der Verletzung öffnet und der Organismus gestört wird? In all ihren Werken bearbeitet Francisca Gómez diese Frage. Wohnungen und Häuser sind ihr dabei aber nicht nur »zweite Haut« des Menschen, sie sind auch als »soziale Körper« zu verstehen, wie die Künstlerin weiter schreibt.² Formen des Wohnens und Bewohnens bilden eine der wesentlichen Erfahrungsgrundlagen menschlichen Seins, ja – zugleich sind diese Erfahrungen immer zurückgebunden an die Politik und was sie den Körpern/den Menschen an Raum zugesteht oder ihnen wegnimmt. Beides zu erkunden – was tut die Politik und wie wirkt sie auf den Menschen und seinen ersten Schutzraum ein? –, ist das Projekt der Künstlerin.
In ihren Streifzügen durch unterschiedliche Gebiete und Metropolen erkundet Gómez vor allem diejenigen Lebensräume, die immensen Transformationsprozessen unterworfen sind und damit unmittelbare Auswirkungen auf die Lebensumstände ihrer Bewohner_innen haben. In der Vergangenheit waren das unter anderem das Ruhrgebiet – trotz des demografischen Wandels noch immer das größte Ballungsgebiet Deutschlands als Folge der Industrialisierung/Verstädterung, inzwischen jedoch durch Stahlkrise und Kohleausstieg einem tiefgreifenden Strukturwandel unterworfen, der zur höchsten Arbeitslosenrate des Landes geführt hat – oder die Stadt Detroit im US-amerikanischen Bundesstaat Michigan, gezeichnet durch den Niedergang der einst größten Automobilindustrie Nordamerikas, dessen Folgen die Stadt in die Pleite geführt haben. Ausdruck davon ist die Abwanderung der Wohlhabenden, was zum Zerfall städtischer Strukturen und einem immensen Wohnungsleerstand auf der einen Seite geführt hat sowie zu einer offensichtlich unbezwingbaren wirtschaftlichen Not der Unfreien und (aus diesem Grunde) Zurückgebliebenen auf der anderen Seite. Nordspanien mit seinen die Landschaften durchschneidenden gewaltigen Spekulationsobjekten, die im Zuge des Baubooms entstanden sind, war ein weiteres Untersuchungsfeld der Künstlerin. Hier sind planlos Architekturen entstanden, die nicht nur an den Bedarfen der Menschen in diesem von Wirtschaftskrisen gebeutelten Land vorbeigehen, sondern die noch nicht einmal an die grundlegendsten Infrastrukturen angedockt wurden, mit denen eine einfache Versorgung gewährleistet wäre. Der Immobiliencrash hinterlässt unfertige Wohnanlagen und/oder Leerstand in einem Land, wo bezahlbarer Wohnraum dringend gebraucht wird.
Allen Projekten von Francisca Gómez ist als Frage unterlegt, »wie Räume prekär bewohnt werden«.³ Dabei sind die fotografischen Studien der Künstlerin nicht nur einem analytischen Zugehen auf den Gegenstand ihrer Forschung verpflichtet, wie er sich an verschiedenen Stellen ihrer Arbeit durch einen neutral-sachlichen Aufnahmestil ausdrückt, sondern sie sind zugleich immer auch direkt mit den Menschen verknüpft, die sie in den Räumen aufsucht, in denen sie leben oder zu leben gezwungen sind. Diese direkte Auseinandersetzung führt zu einer Verschränkung von dokumentarischem Material mit Bildern, die Situationen zuspitzen und Atmosphären (oftmals der Ausweglosigkeit) verstärken und die Lebenssituationen der Menschen greifbar werden lassen, ohne sie je in eine ›Opferrolle‹ zu zwingen. Man kann die Arbeitsweise von Gómez mit der »verstehenden Soziologie« Pierre Bourdieus in Verbindung bringen, in der objektive Daten mit der unmittelbaren Lebensrealität der Menschen verknüpft werden. Speziell Bourdieus Die feinen Unterschiede4, eine umfassende empirische Studie über die unterschiedlichen Lebensstile der (hier französischen) Gesellschaft, kommt einem in den Sinn. Lebensstile und ihre jeweiligen Ausprägungen (in geschmacklicher, religiöser und politischer Hinsicht) führte der Soziologe auf den jeweiligen sozialen Status des Menschen in einer von Hierarchien und Wertigkeiten durchzogenen Gesellschaft zurück. Dies konnte er mit seinen Tiefeninterviews eindrücklich belegen, eine Methode, die auch Gómez immer wieder anwendet. Auch in ihren Projekten beginnen sich so soziale Ordnungen abzubilden, in denen die Menschen im Zentrum stehen – hier sind es Menschen, die weder über die materiellen noch über die symbolischen Mittel verfügen, um in der Geschichte eigene Spuren zu hinterlassen und somit gesellschaftlich zu existieren. Ganz im Sinne von Bourdieus Konzept der »teilnehmenden Beobachtung« verfolgt Gómez die Idee, mit ihrer Arbeit, in der sich, wie wir sehen werden, unterschiedliche methodische Ansätze miteinander verknüpfen, eine Art der allgemein zugänglichen Erinnerungsspur zu etablieren und damit Zeugnis von spezifischen gesellschaftlichen Zuständen abzulegen.
Diesen Charakter hat auch die neue Arbeit von Francisca Gómez, Keep you busy oder das Leben auf Pause (2016/18). Das Besondere an dieser Arbeit ist, dass sie nicht zwingend an die Identifizierung eines geografisch eindeutig bestimmbaren Ortes gebunden ist, so wie dies noch für ihre vorhergehenden fotografischen Arbeiten gilt. Dies ist nicht nur – aber auch – dem Umstand geschuldet, dass das Fotografieren an dem gewählten Ort von Amts wegen nicht gestattet ist, sondern auch, dass die Aufnahmen des Ortes stellvertretend für eine ganze Reihe von Einrichtungen stehen, so wie sie überall (nicht nur) in Deutschland existieren. Ort ihrer Aufnahmen ist eine zentrale Unterbringungseinrichtung zur Aufnahme von Geflüchteten, in diesem Fall eine aufgelassene Kaserne in Nordrhein-Westfalen, die seit den 1990er-Jahren Menschen vorübergehend aufnimmt, bis sie ihre Anhörung durchlaufen haben und weiter in andere Einrichtungen verteilt werden. Der fragile oder unsichere Status, dem die Menschen hier unterworfen sind, mag bereits ein Grund dafür sein, dass sich Francisca Gómez für eine Präsentationsform ihrer Arbeit entschieden hat, die Momente des Übergangs auch formal aufgreift: Die Bilder und die Art, wie sie an der Wand hängen und auch in diesen Katalog eingeflossen sind, betonen die nur provisorische Lebenslage und unterstreichen die Ungewissheit, in der sich die Menschen hier befinden. Dieser formalen Entscheidung ist außerdem die Frage unterlegt: Wie kann man ein Bild geben und den Bildern auch einen Status zuweisen, der vorgefundenen Situationen entspricht?
Wie für ihre früheren Projekte gilt auch hier, dass Gómez den Kontakt zu den Menschen gesucht hat, denen hier ein Bett (und kaum mehr) zugewiesen wurde. Nur durch die konkrete und auch auf Dauer gestellte Verbindung zu den Personen, die hier leben (müssen), kann es überhaupt möglich werden, zu Aufnahmen zu gelangen, die nicht die dominierenden Bildregime und die ihnen inhärente Machtverteilung reproduzieren (wie es beispielsweise so oft in konventionellen Bildreportagen geschieht). Nein, das Projekt von Gómez ist es, in einem Prozess der behutsamen gegenseitigen Annäherung und trotz des Bilderverbots gewissermaßen zu ›legitimen Bildern‹ zu kommen. Sie entscheidet sich gegen die schnelle, flüchtige oder gar verstohlene Aufnahme, stattdessen arbeitet sie mit einer analogen Mittelformatkamera an ausgefeilten Bildkompositionen, die sie nuanciert/starkfarbig und mit großer Sorgfalt ausarbeitet. Nur durch die Offenheit im Miteinander und mit diesen spezifischen fotografischen Mitteln kann es gelingen, etwas zu formulieren, was den Bewohner_innen gerecht wird, ohne sie und ihr individuelles Dasein zu desavouieren – und zugleich einen allgemeinen Status zu formulieren, mit dem Gómez den politischen Anspruch an ihr Projekt einlöst. So wird mit ihren Aufnahmen zuallererst die Zeit sichtbar, die in das Projekt geflossen ist. Zeit miteinander zu verbringen, um im Austausch – vielleicht – ein Bild oder mehrere zu machen. Bilder, mit denen sich Momente der Lebensrealität der Bewohner_innen und ihre soziale Situation zeigen, aber auch Bilder, die Ausdruck sind vom durch die Politik ›verwalteten Menschen‹. Letzteres gelingt der Künstlerin durch einen dokumentarischen Zugriff, der einer klaren Dramaturgie folgt: Von Überblick gebenden Außenaufnahmen des Gebäudes bewegt sie sich in immer kleiner werdenden Kreisen in die Innenräume. Hier wiederum geht sie bewusst nicht systematisch vor, sondern arbeitet an Details, die an der Schwelle zur Abstraktion zu operieren beginnen, oder – um im Bild der »zweiten Haut« zu bleiben – die bis in die feinsten Poren der Einrichtung vordringen. In fotografischer Präzision und Feinsinnigkeit zeigen sich überall Bruchstellen und Provisorien, die – man kann es nicht anders formulieren – von Ungnade zeugen: Ein nur notdürftig befestigter Duschvorhang, ein energiesparendes Leuchtmittel (Deutschland lässt grüßen), das in eine nackte Fassung geschraubt wurde, oder Türen mit Schrunden und Kleberesten sind Motive, die trotz ihrer Ausschnitthaftigkeit eine nur unzureichende Versorgungslage der Bewohner_innen erkennen lassen. Diese schreibt sich in die Körper ein, wie Gómez’ wenige Porträtaufnahmen zeigen, die über die Serie verstreut sind. Wenn sie an unterschiedlichen Stellen auftauchen, sind die Gesichter ihrer Protagonist_innen entweder abgewandt oder durch eine gezielte Lichtführung kaum zu identifizieren. Mit ihnen macht die Künstlerin sehr genau deutlich, dass diese Menschen sich in Lebensumständen des Transitorischen befinden, ein Status, der ihnen nicht erlaubt – ja, man kann es ruhig so überspitzt ausdrücken –, gesellschaftlich zu existieren. Dass sie es aber tun und ihr Leben voller Spuren ihrer (prekären) Existenz ist, auf die zu blicken ›sich lohnt‹, um eine konkretere Vorstellung von den individuellen Schicksalen zu erhalten, zeigt die Künstlerin schließlich durch Momente der konkreten Intervention bzw. Interaktion: So finden sich in ihrer Serie schließlich Bilder von Stühlen, auf denen die Geflüchteten all das sorgsam stapelten, was sie bei der Überschreitung der Grenze nach Deutschland bei sich trugen. Diese Art des konzeptuellen Vorgehens und die daraus hervorgehende Formalisierung, mit der ein reales Leben auf die Größe eines Stuhls und was auf ihm Platz findet, zusammenschrumpft, steht in krassem Kontrast zu der (nur vermeintlichen) Idylle eines Einfamilienhauses, ein Bild aus der Serie, das ein Haus zeigt, so wie es für die Region typisch ist, und das von der Künstlerin mit in das Bilderkonvolut rund um die Unterbringungseinrichtung geschmuggelt wurde. Momente der Verödung schälen sich heraus: Was sich am einen Ende der Gesellschaft zu einer überdimensionierten »zweiten Haut« des Menschen aufbläst, schrumpft am anderen Ende zu einem »sozialen Körper«, der durch zu viele Häutungen, die er durchleben musste, kaum noch zu existieren scheint. Mehr noch: Deutlich wird, dass den Geflüchteten selbst in dieser nur vordergründig sicheren Situation ein Existenzrecht im Wortsinn gar nicht erst ›eingeräumt‹ wird. Überspielen kann man dies natürlich gut durch bürokratische Spielchen und (Freizeit-)Programme, die die Gebeutelten ›busy‹ halten. Aber: Politische Lösungen müssen anders aussehen, als den Geflüchteten in Provisorien nur ein ›Leben auf Pause‹ anzubieten.
(1) Francisca Gómez, TO BE IN A HOME NOW. , Kat., hrsg. vom Kunsthaus Essen und Kunstring Folkwang anl. der gleichnamigen Ausstellung. Dortmund: Kettler 2014, S. 4.
(2) Ebd., S. 4.
(3) Francisca Gómez im Gespräch mit der Autorin, 24.04.2018.
(4) Vgl. Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1982.
Maren Lübbke-Tidow
In einem früheren Katalog zu ihren Arbeiten, TO BE IN A HOME NOW. (2014), beschreibt Francisca Gómez Häuser und Wohnungen als »zweite Haut« des Menschen.¹ Mit dieser metaphorischen Lesart kommt man in der Betrachtung der Arbeit der Künstlerin ziemlich weit. Haut. Als größtes Organ umschließt sie unser Inneres und bildet seine Außenseite. Dabei funktioniert sie wie eine Membran, ist aktiv, durchlässig, gleichermaßen empfindlich wie widerständig. Häusern und Wohnungen genau diese Funktion einer lebendigen Hülle zuzuordnen, die wir mit unseren Körpern bewohnen, macht Sinn.
Wie viel Druck kann diese Außenhaut ertragen, bevor sie sich in einer Art der Verletzung öffnet und der Organismus gestört wird? In all ihren Werken bearbeitet Francisca Gómez diese Frage. Wohnungen und Häuser sind ihr dabei aber nicht nur »zweite Haut« des Menschen, sie sind auch als »soziale Körper« zu verstehen, wie die Künstlerin weiter schreibt.² Formen des Wohnens und Bewohnens bilden eine der wesentlichen Erfahrungsgrundlagen menschlichen Seins, ja – zugleich sind diese Erfahrungen immer zurückgebunden an die Politik und was sie den Körpern/den Menschen an Raum zugesteht oder ihnen wegnimmt. Beides zu erkunden – was tut die Politik und wie wirkt sie auf den Menschen und seinen ersten Schutzraum ein? –, ist das Projekt der Künstlerin.
In ihren Streifzügen durch unterschiedliche Gebiete und Metropolen erkundet Gómez vor allem diejenigen Lebensräume, die immensen Transformationsprozessen unterworfen sind und damit unmittelbare Auswirkungen auf die Lebensumstände ihrer Bewohner_innen haben. In der Vergangenheit waren das unter anderem das Ruhrgebiet – trotz des demografischen Wandels noch immer das größte Ballungsgebiet Deutschlands als Folge der Industrialisierung/Verstädterung, inzwischen jedoch durch Stahlkrise und Kohleausstieg einem tiefgreifenden Strukturwandel unterworfen, der zur höchsten Arbeitslosenrate des Landes geführt hat – oder die Stadt Detroit im US-amerikanischen Bundesstaat Michigan, gezeichnet durch den Niedergang der einst größten Automobilindustrie Nordamerikas, dessen Folgen die Stadt in die Pleite geführt haben. Ausdruck davon ist die Abwanderung der Wohlhabenden, was zum Zerfall städtischer Strukturen und einem immensen Wohnungsleerstand auf der einen Seite geführt hat sowie zu einer offensichtlich unbezwingbaren wirtschaftlichen Not der Unfreien und (aus diesem Grunde) Zurückgebliebenen auf der anderen Seite. Nordspanien mit seinen die Landschaften durchschneidenden gewaltigen Spekulationsobjekten, die im Zuge des Baubooms entstanden sind, war ein weiteres Untersuchungsfeld der Künstlerin. Hier sind planlos Architekturen entstanden, die nicht nur an den Bedarfen der Menschen in diesem von Wirtschaftskrisen gebeutelten Land vorbeigehen, sondern die noch nicht einmal an die grundlegendsten Infrastrukturen angedockt wurden, mit denen eine einfache Versorgung gewährleistet wäre. Der Immobiliencrash hinterlässt unfertige Wohnanlagen und/oder Leerstand in einem Land, wo bezahlbarer Wohnraum dringend gebraucht wird.
Allen Projekten von Francisca Gómez ist als Frage unterlegt, »wie Räume prekär bewohnt werden«.³ Dabei sind die fotografischen Studien der Künstlerin nicht nur einem analytischen Zugehen auf den Gegenstand ihrer Forschung verpflichtet, wie er sich an verschiedenen Stellen ihrer Arbeit durch einen neutral-sachlichen Aufnahmestil ausdrückt, sondern sie sind zugleich immer auch direkt mit den Menschen verknüpft, die sie in den Räumen aufsucht, in denen sie leben oder zu leben gezwungen sind. Diese direkte Auseinandersetzung führt zu einer Verschränkung von dokumentarischem Material mit Bildern, die Situationen zuspitzen und Atmosphären (oftmals der Ausweglosigkeit) verstärken und die Lebenssituationen der Menschen greifbar werden lassen, ohne sie je in eine ›Opferrolle‹ zu zwingen. Man kann die Arbeitsweise von Gómez mit der »verstehenden Soziologie« Pierre Bourdieus in Verbindung bringen, in der objektive Daten mit der unmittelbaren Lebensrealität der Menschen verknüpft werden. Speziell Bourdieus Die feinen Unterschiede4, eine umfassende empirische Studie über die unterschiedlichen Lebensstile der (hier französischen) Gesellschaft, kommt einem in den Sinn. Lebensstile und ihre jeweiligen Ausprägungen (in geschmacklicher, religiöser und politischer Hinsicht) führte der Soziologe auf den jeweiligen sozialen Status des Menschen in einer von Hierarchien und Wertigkeiten durchzogenen Gesellschaft zurück. Dies konnte er mit seinen Tiefeninterviews eindrücklich belegen, eine Methode, die auch Gómez immer wieder anwendet. Auch in ihren Projekten beginnen sich so soziale Ordnungen abzubilden, in denen die Menschen im Zentrum stehen – hier sind es Menschen, die weder über die materiellen noch über die symbolischen Mittel verfügen, um in der Geschichte eigene Spuren zu hinterlassen und somit gesellschaftlich zu existieren. Ganz im Sinne von Bourdieus Konzept der »teilnehmenden Beobachtung« verfolgt Gómez die Idee, mit ihrer Arbeit, in der sich, wie wir sehen werden, unterschiedliche methodische Ansätze miteinander verknüpfen, eine Art der allgemein zugänglichen Erinnerungsspur zu etablieren und damit Zeugnis von spezifischen gesellschaftlichen Zuständen abzulegen.
Diesen Charakter hat auch die neue Arbeit von Francisca Gómez, Keep you busy oder das Leben auf Pause (2016/18). Das Besondere an dieser Arbeit ist, dass sie nicht zwingend an die Identifizierung eines geografisch eindeutig bestimmbaren Ortes gebunden ist, so wie dies noch für ihre vorhergehenden fotografischen Arbeiten gilt. Dies ist nicht nur – aber auch – dem Umstand geschuldet, dass das Fotografieren an dem gewählten Ort von Amts wegen nicht gestattet ist, sondern auch, dass die Aufnahmen des Ortes stellvertretend für eine ganze Reihe von Einrichtungen stehen, so wie sie überall (nicht nur) in Deutschland existieren. Ort ihrer Aufnahmen ist eine zentrale Unterbringungseinrichtung zur Aufnahme von Geflüchteten, in diesem Fall eine aufgelassene Kaserne in Nordrhein-Westfalen, die seit den 1990er-Jahren Menschen vorübergehend aufnimmt, bis sie ihre Anhörung durchlaufen haben und weiter in andere Einrichtungen verteilt werden. Der fragile oder unsichere Status, dem die Menschen hier unterworfen sind, mag bereits ein Grund dafür sein, dass sich Francisca Gómez für eine Präsentationsform ihrer Arbeit entschieden hat, die Momente des Übergangs auch formal aufgreift: Die Bilder und die Art, wie sie an der Wand hängen und auch in diesen Katalog eingeflossen sind, betonen die nur provisorische Lebenslage und unterstreichen die Ungewissheit, in der sich die Menschen hier befinden. Dieser formalen Entscheidung ist außerdem die Frage unterlegt: Wie kann man ein Bild geben und den Bildern auch einen Status zuweisen, der vorgefundenen Situationen entspricht?
Wie für ihre früheren Projekte gilt auch hier, dass Gómez den Kontakt zu den Menschen gesucht hat, denen hier ein Bett (und kaum mehr) zugewiesen wurde. Nur durch die konkrete und auch auf Dauer gestellte Verbindung zu den Personen, die hier leben (müssen), kann es überhaupt möglich werden, zu Aufnahmen zu gelangen, die nicht die dominierenden Bildregime und die ihnen inhärente Machtverteilung reproduzieren (wie es beispielsweise so oft in konventionellen Bildreportagen geschieht). Nein, das Projekt von Gómez ist es, in einem Prozess der behutsamen gegenseitigen Annäherung und trotz des Bilderverbots gewissermaßen zu ›legitimen Bildern‹ zu kommen. Sie entscheidet sich gegen die schnelle, flüchtige oder gar verstohlene Aufnahme, stattdessen arbeitet sie mit einer analogen Mittelformatkamera an ausgefeilten Bildkompositionen, die sie nuanciert/starkfarbig und mit großer Sorgfalt ausarbeitet. Nur durch die Offenheit im Miteinander und mit diesen spezifischen fotografischen Mitteln kann es gelingen, etwas zu formulieren, was den Bewohner_innen gerecht wird, ohne sie und ihr individuelles Dasein zu desavouieren – und zugleich einen allgemeinen Status zu formulieren, mit dem Gómez den politischen Anspruch an ihr Projekt einlöst. So wird mit ihren Aufnahmen zuallererst die Zeit sichtbar, die in das Projekt geflossen ist. Zeit miteinander zu verbringen, um im Austausch – vielleicht – ein Bild oder mehrere zu machen. Bilder, mit denen sich Momente der Lebensrealität der Bewohner_innen und ihre soziale Situation zeigen, aber auch Bilder, die Ausdruck sind vom durch die Politik ›verwalteten Menschen‹. Letzteres gelingt der Künstlerin durch einen dokumentarischen Zugriff, der einer klaren Dramaturgie folgt: Von Überblick gebenden Außenaufnahmen des Gebäudes bewegt sie sich in immer kleiner werdenden Kreisen in die Innenräume. Hier wiederum geht sie bewusst nicht systematisch vor, sondern arbeitet an Details, die an der Schwelle zur Abstraktion zu operieren beginnen, oder – um im Bild der »zweiten Haut« zu bleiben – die bis in die feinsten Poren der Einrichtung vordringen. In fotografischer Präzision und Feinsinnigkeit zeigen sich überall Bruchstellen und Provisorien, die – man kann es nicht anders formulieren – von Ungnade zeugen: Ein nur notdürftig befestigter Duschvorhang, ein energiesparendes Leuchtmittel (Deutschland lässt grüßen), das in eine nackte Fassung geschraubt wurde, oder Türen mit Schrunden und Kleberesten sind Motive, die trotz ihrer Ausschnitthaftigkeit eine nur unzureichende Versorgungslage der Bewohner_innen erkennen lassen. Diese schreibt sich in die Körper ein, wie Gómez’ wenige Porträtaufnahmen zeigen, die über die Serie verstreut sind. Wenn sie an unterschiedlichen Stellen auftauchen, sind die Gesichter ihrer Protagonist_innen entweder abgewandt oder durch eine gezielte Lichtführung kaum zu identifizieren. Mit ihnen macht die Künstlerin sehr genau deutlich, dass diese Menschen sich in Lebensumständen des Transitorischen befinden, ein Status, der ihnen nicht erlaubt – ja, man kann es ruhig so überspitzt ausdrücken –, gesellschaftlich zu existieren. Dass sie es aber tun und ihr Leben voller Spuren ihrer (prekären) Existenz ist, auf die zu blicken ›sich lohnt‹, um eine konkretere Vorstellung von den individuellen Schicksalen zu erhalten, zeigt die Künstlerin schließlich durch Momente der konkreten Intervention bzw. Interaktion: So finden sich in ihrer Serie schließlich Bilder von Stühlen, auf denen die Geflüchteten all das sorgsam stapelten, was sie bei der Überschreitung der Grenze nach Deutschland bei sich trugen. Diese Art des konzeptuellen Vorgehens und die daraus hervorgehende Formalisierung, mit der ein reales Leben auf die Größe eines Stuhls und was auf ihm Platz findet, zusammenschrumpft, steht in krassem Kontrast zu der (nur vermeintlichen) Idylle eines Einfamilienhauses, ein Bild aus der Serie, das ein Haus zeigt, so wie es für die Region typisch ist, und das von der Künstlerin mit in das Bilderkonvolut rund um die Unterbringungseinrichtung geschmuggelt wurde. Momente der Verödung schälen sich heraus: Was sich am einen Ende der Gesellschaft zu einer überdimensionierten »zweiten Haut« des Menschen aufbläst, schrumpft am anderen Ende zu einem »sozialen Körper«, der durch zu viele Häutungen, die er durchleben musste, kaum noch zu existieren scheint. Mehr noch: Deutlich wird, dass den Geflüchteten selbst in dieser nur vordergründig sicheren Situation ein Existenzrecht im Wortsinn gar nicht erst ›eingeräumt‹ wird. Überspielen kann man dies natürlich gut durch bürokratische Spielchen und (Freizeit-)Programme, die die Gebeutelten ›busy‹ halten. Aber: Politische Lösungen müssen anders aussehen, als den Geflüchteten in Provisorien nur ein ›Leben auf Pause‹ anzubieten.
(1) Francisca Gómez, TO BE IN A HOME NOW. , Kat., hrsg. vom Kunsthaus Essen und Kunstring Folkwang anl. der gleichnamigen Ausstellung. Dortmund: Kettler 2014, S. 4.
(2) Ebd., S. 4.
(3) Francisca Gómez im Gespräch mit der Autorin, 24.04.2018.
(4) Vgl. Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1982.