Marcel Schumacher
Der Blick aus dem Ausstellungsraum des Kunsthauses ist verbaut, nur noch kleine Öffnungen lassen Licht hinein. Dieses Licht lässt Fotografien aufleuchten, projiziert verschwommene Farbflecken auf den Boden und die Wände. Der Blick aus den kleinen Fenstern zeigt eine andere Außenwelt, als jene die sich hinter den Bildern befindet, zeigt Orte, die man auf den ersten Blick zu erkennen glaubt und doch nicht kennt. Eines ist ihnen gemein: Es sind Neubauviertel. Die Fassadenfarben sind makellos, mal ein leuchtendes Rot, mal strahlend weiß. Die Häuserkuben wirken fast künstlich in dem intensiven Sonnenlicht, wie Entwürfe ohne Gebrauchsspuren. Und doch widersprechen die Räume zwischen Gebäuden dem Eindruck eines Idealzustandes: Gras vertrocknet dort, dürre Bäumchen stecken im Rollrasen. Die Freiflächen dominieren den Vordergrund der fotografischen Aufnahmen. Ihre Leere, das Fehlen der Menschen wirkt unbehaglich.
In keinem Architekten-Entwurf oder Immobilienprospekt würde auf Menschen als Staffage verzichtet. Lebendige Straßen sind heute ein primäres Marketingargument. In der Architekturfotografie hat die Abwesenheit des Menschen eine eigene Tradition, die auf einer grafischen Bildauffassung beruht. Tauchten in den ersten Fotografien von Bauten Menschen wegen der langen Belichtungszeiten nur als verwischte „Geister“ auf, wurde in der Fotografie der 1920er Jahre eine Konzentration auf die abstrakte Formensprache sowohl im „Neuen Sehen“ wie im „Neuen Bauen“ zum Paradigma. Die Moderne unterstreicht die ästhetische Gestalt der Bauten, lässt sie zu „geometrischen Formen unter der Sonne“ (Le Corbusier) werden. Das Spiel von Licht und Schatten lässt bei den Architekturskulpturen Le Corbusiers beispielsweise aber nicht nur die Schönheit der Gestalt sichtbar werden, sondern auch das Funktionieren der Architektur. Die schattigen Loggien, die überdachten Plätze, tiefen Eingangsbereiche zeigen in den Fotografien seiner Gebäude den menschlichen Maßstab. Denn das „Neue Bauen“ war für eine „Neue Gemeinschaft“ gedacht.
Schattenräume, Schutzräume, Orte öffentlicher Gemeinschaft; ihr Fehlen ist in den Fotografien spanischer Wohnblocks von Francisca Gómez schmerzlich sichtbar, die Unerträglichkeit der Mittagshitze ist spürbar. Erinnerungen an die frühen Filme Pier Paolo Pasolinis werden wach, Filme wie „Mama Roma“ (1962), die das Leben der umgesiedelten armen Bevölkerung Roms in den Neubauvierteln in der Steppe am Stadtrand schildern, die Zerrissenheit der sozialen Gemeinschaft, das Scheitern der Utopie menschenwürdigen Wohnens an der Bürokratisierung und Effizienzmaxime. Die Bürokratie, deren Hinterlassenschaft in den Fotografien von Gómez abgebildet erscheint, hat mit größtmöglicher ökonomischer Effizienz Neubauviertel hochgezogen, deren einziger Zweck die Gewinnmaximierung war. Das Bauen von Wohnraum ist eine verantwortungsvolle Kunst, vielleicht die öffentlichste, die Architekturfotografie von Francisca Gómez macht diese politische Dimension im Bild sichtbar. Bürokratische Institutionen neigen, wie Foucault in „Überwachen und Strafen“ dargestellt hat, zu unterkomplexen Strukturen, da sie eine bessere Kontrolle ermöglichen.
Das Schauen in diese leuchtenden Fotografien, in Landschaften mit Spekulationsruinen ist Teil der künstlerischen Arbeit. Francisca Gómez entwickelt Begegnungen mit der Realität der Bilder, Begegnungen, die diese Realität erst wieder spürbar werden lassen. Zwischen den ausgestellten Bildern ist Raum, entstehen im Gang durch die Ausstellung Beziehungen, Kommentare. Die Künstlerin arbeitet in Serien, in Projekten, die inhaltlich miteinander verflochten sind. Die Öffnungen der Fensterwand scheinen nach keiner mathematischen Ordnung eingeschnitten zu sein, kein Muster ist ablesbar. Diese Bilder wirken wie zufällig über die Fensterwand gestreut, wie aus dem chaotischen Strom der alltäglichen Bilderflut herausgelöst. Die Transparenz verleiht ihnen etwas Flüchtiges, Immaterielles, die Ortlosigkeit ihrer Motive macht sie zu Projektionen unseres eigenen Bildgedächtnisses.
Um die imaginären Bilder geht es der Künstlerin Francisca Gómez auch in der Installation Bilder der anderen der Ausstellung, in der Gespräche über die Fotografie des Ruhrgebiets zu hören sind. Die Künstlerin führte während ihres Aufenthaltes im Kunsthaus Essen zahlreiche Interviews mit Fotografen, die sich, in der Region lebend, schon seit Jahrzehnten bemühen, ihrer Umgebung und den Menschen ein Bild zu geben. Tausende Fotografien des Ruhrgebiets sind in den letzten Jahrzehnten entstanden und werden durch die Sprache in Erinnerung gerufen. Die Ton-Installation macht uns das eigene Bildgedächtnis als Teil eines kollektiven Archivs erkennbar und verdeutlicht die Bedeutung, welche die Fotografie als Instanz zwischen uns und der Außenwelt eingenommen hat. Im gleichen Raum ist eine Reihe von Fotografien zu sehen, die während des Stipendiums vor Ort entstanden sind. Zu erkennen sind sogenannte Landmarken des Ruhrgebiets. Großindustrielle Anlagen, oder vielmehr nur die Silhouette eines Kühlturms, eines Förderturms, Röhren, Leitern. Die Aufnahme im Gegenlicht hat das Bild fast auf den Schwarz-Weiß-Kontrast konzentriert. Symbole des alten Ruhrgebiets, hundertfach abgelichtet. Im Vordergrund der einen Anlage jedoch eine neue Straße, neue Laternen, Zebrastreifen, neue Verkehrsinseln: eine neue, saubere Infrastruktur. Die Industriekathedralen teilen das Schicksal der christlichen Kathedralen, sie sind Landmarken, Leuchttürme, bzw. angeleuchtete Türme geworden. Landmarken sind nicht nur ein Instrument der Stadtplanung und des Stadtmarketings, sie wirken wie für die Fotografie entworfen. Der Amerikaner Kevin Lynch brachte diesen Begriff aus der Landschaftsarchitektur in den 1950er Jahren in die Städteplanung ein. Sein Konzept leitete sich aus Erfahrungsberichten von Stadtbewohnern ab, daraus, das sich viele Bewohner in ihrer alltäglichem Bewegung an prägnanten Gebäuden oder Denkmälern orientierten, ähnlich wie es auch Touristen tun. Eine Landmarke produziert eine Hierarchie in der Stadtlandschaft, was sie in der Masse fotografischer Abbildungen eines Gebietes ebenfalls tut, sie produziert eine wiedererkennbare Singularität, eine Ordnung. Doch in der Reihe der Fotografien von Francisca Gómez sind Brüche sichtbar: Neben dem Thyssen-Werk in Duisburg hat die Künstlerin auch das bereits stillgelegte Opel-Werk 1 in Bochum und die Stahlkonstruktion für die Erweiterung der Küppersmühle in Duisburg fotografiert.
In der Ausstellung TO BE IN A HOME NOW. werden nicht nur Bilder aufgerufen. Es entsteht während des Rundgangs ein imaginärer Raum, ein Raum zwischen den Motiven, zwischen den Bildern, zwischen den Individuen. In ihrer Auseinandersetzung mit ihrer Gegenwart bezieht Francisca Gómez in ihre Arbeit Zeit und Raum ein. Eines der Fotopapiere an einer der Wände wirkt weiß, wie überbelichtet, nur schwach sind die Schatten lesbar. Die Künstlerin hat weiße Wäsche auf weißem Hintergrund abgelichtet. In ihrer Vorrecherche war sie auf die Erzählung von der verrußten Wäsche im Kohlebezirk gestoßen. Während ihres Stipendienaufenthaltes hing sie einen weißen Stofffetzen aus dem Atelierfenster des Kunsthauses Essen, um Kohlestaub zu sammeln. Der Stoff blieb weiß und wurde von einer Windböe weggerissen.
Ruhrbild – zwischen den Bildern das Gebiet
Marcel Schumacher
Der Blick aus dem Ausstellungsraum des Kunsthauses ist verbaut, nur noch kleine Öffnungen lassen Licht hinein. Dieses Licht lässt Fotografien aufleuchten, projiziert verschwommene Farbflecken auf den Boden und die Wände. Der Blick aus den kleinen Fenstern zeigt eine andere Außenwelt, als jene die sich hinter den Bildern befindet, zeigt Orte, die man auf den ersten Blick zu erkennen glaubt und doch nicht kennt. Eines ist ihnen gemein: Es sind Neubauviertel. Die Fassadenfarben sind makellos, mal ein leuchtendes Rot, mal strahlend weiß. Die Häuserkuben wirken fast künstlich in dem intensiven Sonnenlicht, wie Entwürfe ohne Gebrauchsspuren. Und doch widersprechen die Räume zwischen Gebäuden dem Eindruck eines Idealzustandes: Gras vertrocknet dort, dürre Bäumchen stecken im Rollrasen. Die Freiflächen dominieren den Vordergrund der fotografischen Aufnahmen. Ihre Leere, das Fehlen der Menschen wirkt unbehaglich.
In keinem Architekten-Entwurf oder Immobilienprospekt würde auf Menschen als Staffage verzichtet. Lebendige Straßen sind heute ein primäres Marketingargument. In der Architekturfotografie hat die Abwesenheit des Menschen eine eigene Tradition, die auf einer grafischen Bildauffassung beruht. Tauchten in den ersten Fotografien von Bauten Menschen wegen der langen Belichtungszeiten nur als verwischte „Geister“ auf, wurde in der Fotografie der 1920er Jahre eine Konzentration auf die abstrakte Formensprache sowohl im „Neuen Sehen“ wie im „Neuen Bauen“ zum Paradigma. Die Moderne unterstreicht die ästhetische Gestalt der Bauten, lässt sie zu „geometrischen Formen unter der Sonne“ (Le Corbusier) werden. Das Spiel von Licht und Schatten lässt bei den Architekturskulpturen Le Corbusiers beispielsweise aber nicht nur die Schönheit der Gestalt sichtbar werden, sondern auch das Funktionieren der Architektur. Die schattigen Loggien, die überdachten Plätze, tiefen Eingangsbereiche zeigen in den Fotografien seiner Gebäude den menschlichen Maßstab. Denn das „Neue Bauen“ war für eine „Neue Gemeinschaft“ gedacht.
Schattenräume, Schutzräume, Orte öffentlicher Gemeinschaft; ihr Fehlen ist in den Fotografien spanischer Wohnblocks von Francisca Gómez schmerzlich sichtbar, die Unerträglichkeit der Mittagshitze ist spürbar. Erinnerungen an die frühen Filme Pier Paolo Pasolinis werden wach, Filme wie „Mama Roma“ (1962), die das Leben der umgesiedelten armen Bevölkerung Roms in den Neubauvierteln in der Steppe am Stadtrand schildern, die Zerrissenheit der sozialen Gemeinschaft, das Scheitern der Utopie menschenwürdigen Wohnens an der Bürokratisierung und Effizienzmaxime. Die Bürokratie, deren Hinterlassenschaft in den Fotografien von Gómez abgebildet erscheint, hat mit größtmöglicher ökonomischer Effizienz Neubauviertel hochgezogen, deren einziger Zweck die Gewinnmaximierung war. Das Bauen von Wohnraum ist eine verantwortungsvolle Kunst, vielleicht die öffentlichste, die Architekturfotografie von Francisca Gómez macht diese politische Dimension im Bild sichtbar. Bürokratische Institutionen neigen, wie Foucault in „Überwachen und Strafen“ dargestellt hat, zu unterkomplexen Strukturen, da sie eine bessere Kontrolle ermöglichen.
Das Schauen in diese leuchtenden Fotografien, in Landschaften mit Spekulationsruinen ist Teil der künstlerischen Arbeit. Francisca Gómez entwickelt Begegnungen mit der Realität der Bilder, Begegnungen, die diese Realität erst wieder spürbar werden lassen. Zwischen den ausgestellten Bildern ist Raum, entstehen im Gang durch die Ausstellung Beziehungen, Kommentare. Die Künstlerin arbeitet in Serien, in Projekten, die inhaltlich miteinander verflochten sind. Die Öffnungen der Fensterwand scheinen nach keiner mathematischen Ordnung eingeschnitten zu sein, kein Muster ist ablesbar. Diese Bilder wirken wie zufällig über die Fensterwand gestreut, wie aus dem chaotischen Strom der alltäglichen Bilderflut herausgelöst. Die Transparenz verleiht ihnen etwas Flüchtiges, Immaterielles, die Ortlosigkeit ihrer Motive macht sie zu Projektionen unseres eigenen Bildgedächtnisses.
Um die imaginären Bilder geht es der Künstlerin Francisca Gómez auch in der Installation Bilder der anderen der Ausstellung, in der Gespräche über die Fotografie des Ruhrgebiets zu hören sind. Die Künstlerin führte während ihres Aufenthaltes im Kunsthaus Essen zahlreiche Interviews mit Fotografen, die sich, in der Region lebend, schon seit Jahrzehnten bemühen, ihrer Umgebung und den Menschen ein Bild zu geben. Tausende Fotografien des Ruhrgebiets sind in den letzten Jahrzehnten entstanden und werden durch die Sprache in Erinnerung gerufen. Die Ton-Installation macht uns das eigene Bildgedächtnis als Teil eines kollektiven Archivs erkennbar und verdeutlicht die Bedeutung, welche die Fotografie als Instanz zwischen uns und der Außenwelt eingenommen hat. Im gleichen Raum ist eine Reihe von Fotografien zu sehen, die während des Stipendiums vor Ort entstanden sind. Zu erkennen sind sogenannte Landmarken des Ruhrgebiets. Großindustrielle Anlagen, oder vielmehr nur die Silhouette eines Kühlturms, eines Förderturms, Röhren, Leitern. Die Aufnahme im Gegenlicht hat das Bild fast auf den Schwarz-Weiß-Kontrast konzentriert. Symbole des alten Ruhrgebiets, hundertfach abgelichtet. Im Vordergrund der einen Anlage jedoch eine neue Straße, neue Laternen, Zebrastreifen, neue Verkehrsinseln: eine neue, saubere Infrastruktur. Die Industriekathedralen teilen das Schicksal der christlichen Kathedralen, sie sind Landmarken, Leuchttürme, bzw. angeleuchtete Türme geworden. Landmarken sind nicht nur ein Instrument der Stadtplanung und des Stadtmarketings, sie wirken wie für die Fotografie entworfen. Der Amerikaner Kevin Lynch brachte diesen Begriff aus der Landschaftsarchitektur in den 1950er Jahren in die Städteplanung ein. Sein Konzept leitete sich aus Erfahrungsberichten von Stadtbewohnern ab, daraus, das sich viele Bewohner in ihrer alltäglichem Bewegung an prägnanten Gebäuden oder Denkmälern orientierten, ähnlich wie es auch Touristen tun. Eine Landmarke produziert eine Hierarchie in der Stadtlandschaft, was sie in der Masse fotografischer Abbildungen eines Gebietes ebenfalls tut, sie produziert eine wiedererkennbare Singularität, eine Ordnung. Doch in der Reihe der Fotografien von Francisca Gómez sind Brüche sichtbar: Neben dem Thyssen-Werk in Duisburg hat die Künstlerin auch das bereits stillgelegte Opel-Werk 1 in Bochum und die Stahlkonstruktion für die Erweiterung der Küppersmühle in Duisburg fotografiert.
In der Ausstellung TO BE IN A HOME NOW. werden nicht nur Bilder aufgerufen. Es entsteht während des Rundgangs ein imaginärer Raum, ein Raum zwischen den Motiven, zwischen den Bildern, zwischen den Individuen. In ihrer Auseinandersetzung mit ihrer Gegenwart bezieht Francisca Gómez in ihre Arbeit Zeit und Raum ein. Eines der Fotopapiere an einer der Wände wirkt weiß, wie überbelichtet, nur schwach sind die Schatten lesbar. Die Künstlerin hat weiße Wäsche auf weißem Hintergrund abgelichtet. In ihrer Vorrecherche war sie auf die Erzählung von der verrußten Wäsche im Kohlebezirk gestoßen. Während ihres Stipendienaufenthaltes hing sie einen weißen Stofffetzen aus dem Atelierfenster des Kunsthauses Essen, um Kohlestaub zu sammeln. Der Stoff blieb weiß und wurde von einer Windböe weggerissen.